Jeden Donnerstag wieder ein Gegenstand und die Erinnerungen, die ich damit verbinde. Heute: Ein Foto meines Urgroßvaters.
Beim Wühlen letzte Woche bin ich wieder auf dieses Foto hier gestoßen – dieser Herr ist mein Urgroßvater, der Vater der Oma, von der ich hier immer so viel schreibe. Ist es zu fassen, dass ich nicht mal seinen Namen wusste, bis ich meinen Vater angerufen und gefragt habe? Franz Bienert hieß der Uropa und war ein äußerst spannender Mann.
Es war wunderbar, wie mein Vater ans Erzählen kam über die Abenteuer vom Opa Franz, dem einzigen Opa, den er je hatte.
Ungefähr 1890 ist er geboren, vielleicht auch 1892. Körperlich war er immer ein sehr kleiner Mann, 1,50, vielleicht auch 1,60, dafür aber umso muskulöser. Er war leidenschaftlicher Gewichtheber und Ringer und musste sein Leben lang trainieren, um seine Muskeln nicht zu verlieren – gerade bei sehr muskulösen Menschen ist das wohl ein Problem, wenn sie irgendwann nicht mehr trainieren, dass die Muskeln dann so zusammenfallen, ganz komisch. Tätowiert war er auch.
Im ersten Weltkrieg hat er mitgekämpft, sogar in Verdun. Mein Vater besitzt seinen Militärgürtel. Der ist deshalb so besonders, weil mein Urgroßvater im ersten Weltkrieg eine Kugel abbekam, in den Bauch. Wobei – nicht in den Bauch, sondern in den Gürtel. Mein Vater meint, der Gürtel hätte Franz das Leben gerettet – und damit meiner Oma und meinem Vater und mir überhaupt erst das Leben ermöglicht. Unfassbar.
Irgendwann muss er dann Anna geheiratet haben, und 1921 kam Erika Anna zur Welt, ihr einziges Kind, meine Oma. (Wenn man sich überlegt, dass sie gestern ihren dritten Todestag hatte – das sind Zeiträume…) Für Erika baute er eine Puppenküche, die mein Vater noch hat und die ich demnächst bekommen werde und die Kleene durfte überhaupt sehr behütet aufwachsen. Franz selbst arbeitete in einer Textilfabrik – und während der kommenden Jahre und Jahrzehnte blieb das auch so. Im zweiten Weltkrieg arbeitete er auch noch dort und sie bekamen dort auch Zwangsarbeiter zugeteilt, Kriegsgefangene, die tagsüber kamen und nachts wieder in ein Lager mussten. Franz hat ihnen das Leben gerettet, indem er ihnen immer wieder Stullen zusteckte. Unspektakulär, ja. Aber wirkungsvoll. Nach dem Krieg bekam er dann eine Medaille dafür.
Nach dem Krieg blieb er dann in Apolda, wo er schon so lange lebte, und da Apolda Ostdeutschland war, erlebte er noch bis zu seinem Tod 1967 den Realsozialismus mit. Er muss recht plötzlich gestorben sein, aber ich habe noch eine Postkarte von ihm, die wenige Wochen oder Monate vor seinem Tod geschrieben wurde.
Mein Vater hat seinen Opa zwar nur manchmal gesehen, weil er dafür extra in die DDR einreisen musste, aber er schwärmt vom Opa Franz. Von den tollen Freunden, zu denen er immer mitdurfte, alles Muskelmänner, sehr nette Leute.
Das sind jetzt nicht meine Erinnerungen und ist auch nicht meine Geschichte. Aber es ist eine Geschichte, die irgendwie zu mir führte. Ein Lebensweg, der zwei Kriege und zwei Diktaturen durchlief. Die Geschichte eines Mannes, den ich wahnsinnig gerne kennengelernt hätte.