Eine metallene Auflaufform
Jeden Donnerstag wieder ein Gegenstand und die Erinnerungen, die ich damit verbinde. Heute: Eine metallene Auflaufform.
2004 zog ich nach Oldenburg, nachdem ich vorher ein Jahr lang in Emden gelebt und dort Sozialarbeit studiert und wieder abgebrochen hatte. In den Norden aber hatte ich mich verliebt und wollte hier bleiben, also wurde es Oldenburg. Dazu musste ich aus meiner wunderbaren WG in Emden ausziehen und mir in Oldenburg was neues suchen, klar. Wer von euch schon mal ne WG gesucht hat, weiß, wie unfassbar anstrengend das ist – man läuft im Grunde von Casting zu Casting, muss Fragen beantworten und sich gleichzeitig selber fragen, ob Wohnung und Mitbewohner denn zu einem selbst passen. Zimmergröße, Preis, Wohnungslage, Mitbewohner, Sauberkeitsbedürfnis, Ruhebedürfnis, Sozialbedürfnis – alles muss passen. Ein richtig gutes WG-Zimmer mit entsprechenden Mitbewohnern ist ein Hauptgewinn. Und noch ein Gesetz: Man findet immer erst etwas, wenn man den Hals gestrichen voll hat mit Suchen.
So war’s auch bei mir und ich zog ein, zu drei Mitbewohnern und zwei Katzen (was bald zu nur zwei Mitbewohnern wurde, nur Jungs) in einem eher fragwürdigen Viertel Oldenburgs und blieb für zweieinviertel Jahre. Es war – wie alle echten WGs – eine schräge Angelegenheit. Da kommen mehrere Leute mit ihren Schrullen zusammen und müssen miteinander auskommen, und gerade weil so ein Zuhause ja auch ein Rückzugsort ist, will man sich nicht verstellen müssen.
Es folgen ein paar besonders schräge Situationen, bei denen ich immer noch grinsen muss, wenn ich dran denke.
Wie eines nachts eine gute Freundin bei mir pennte, wir seit Stunden im Bett lagen und redeten und redeten – und plötzlich mein etwas korpulenterer Mitbewohner nur mit einem Handtuch begleitet durch mein Zimmer tappte. Von meinem Zimmer aus ging’s auf den Balkon, und Klopfen ist für Anfänger. Er lief irgendwie öfter halbnackt durch mein Zimmer, ich bin nicht nur einmal davon aufgewacht. Und ich hab jedes Mal tierisch drüber gelacht.
Die WG-Party, auf der ich meine erste große Liebe traf und er mich vollkommen umgehauen hat.
Die Tatsache, dass besagter Mitbewohner im Wohnzimmer ein Mini-Raclette-Gerät stehen hatte, mit nur zwei Pfännchen. Falls man mal beim DVD gucken spontan das Bedürfnis nach geschmolzenem Käse hat. Klar.
Die Wandfarbe der Küche: Knallgelb, mit vielen knallroten Tupfen. Die Legende ging, dass irgendwann irgendwer sehr betrunken beschloss, die Küche zu streichen.
Playstationorgien – die zwei Jungs, die nächtelang Konsole spielten, wirklich nächtelang. Und die Spiele wurden wirklich ausgereizt. Zuerst gab es monatelang ein Rennspiel, dann monatelang Giana Sister und dann monatelang Golf. Und ich schaute wie hypnotisiert zu. Stundenlang.
Ein besonders knappes Monatsende, wo wir alle so pleite waren, dass wir zusammen noch nen Euro hatten. Eine gute Freundin bekam das mit und brachte tütenweise Essen für uns. Und das Festmahl, das daraus wurde.
Der Aftershaveduft, der ankündigte, dass ein Mitbewohner feiern gehen wollte.
Prilblumen, überall in der Wohnung.
Die Wand zwischen meinem Zimmer und dem Gemeinschaftsraum, die nur aus einer überstrichenen Glasscheibe und einer Lage Styropor bestand. Ich konnte teilweise nächtelang nicht schlafen, weil meine Mitbewohner „Mensch ärger dich nicht“ spielten und der Würfel so laut war. Ernsthaft.
Die Kunst des Fertigpizzen-Tunens. Schließlich kann man eine Tiefkühlpizza nicht einfach so essen. Stattdessen muss man noch ordentlich Käse und Gewürze drauf machen. Viel Käse. Viele Gewürze.
Die Senfphase einer Freundin und mir: Wie wir an zwei Abenden mit der WG da saßen und zu zweit ein Gurkenglas voller Honigsenfsauce löffelten. Allen anderen wurde schlecht vom Anblick, aber wir fanden’s lustig.
Das gegenseitige Abhören vor mündlichen Prüfungen – wie ich mit einem der Jungs auf dem Balkon saß, ihm von Kant erzählte und er mir von C.G. Jung.
Am Ende haben wir uns dann aus den verschiedensten Gründen unrettbar zerstritten – aber wenigstens kann ich sagen, dass ich in sehr, sehr schrägen WGs gelebt habe. (Das hier war die drittschrägste.) Meine Enkel werden mal ihren Spaß an den Anekdoten haben.
Achso, und die Auflaufform? Davon waren zwei in der Küche, die wir ständig benutzten, die waren auch bestimmt schon so lange in der Wohnung wie es die WG gab. Irgendwann hab ich zwei neue gekauft, aber so toll wie die alten war keine andere. Also habe ich eine alte mitgenommen und eine neue dagelassen, als ich gegangen bin. Aus Sentimentalität und um leckerer Aufläufe Willen.
Vielleicht demnächst mal mehr zu einer anderen, noch schrägeren WG. (Ich habe übrigens, wenn man Australien mitrechnet, in sechs WGs gelebt, alles zwischen einem und vier Mitbewohnern war dabei.)
Von WGs kann ich auch ein Lied singen 🙂